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Emigrant   f ü r  Deutschland
Appell an die Welt
Offener Brief an Roosevelt
Offener Brief an Chamerberlain
Offener Brief an Daladier
Vertriebene Vertreiber
Politische Arteriosklerose
Soldaten unter Mordbefehl

 
Alle Jahre wieder
(Juni 1977)

Alljährlich treffen sich Sudetendeutsche, die – das übergehen ihre geltungsbedürftigen Funktionäre aus gutem Grund – im Herbst 1938 sozialistische, pazifistische, kommunistische, kurz alle anständigen Landsleute zur Flucht um ihr Leben gezwungen hatten, um dann, nach sechsjähriger, begeistert begrüßter und unterstützter Schreckensherrschaft, aus ehemaligen mitleidlosen Vertreibern nicht unberechtigt zu selbstbemitleidenden Vertriebenen zu werden; vertrieben aus einem Land, in das ihre Ahnen einst als Kolonisatoren gerufen worden waren, so wie nach Schlesien unter den Piasten, nach Russland durch Katharina der Großen.
Bei diesen an unvergessene Parteitage erinnernden Zusammenkünften ertönt allerdings nicht mehr der Jubelschrei von einst „Wir danken unserem Führer“, obwohl er sie doch, wenn auch anders als geplant, in das von ihnen ersehnte Land gebracht hatte. Denn ihr so erfolg- und folgenreicher Ruf der dreißiger Jahre „Wir wollen heim ins Reich!“ ist unterdessen längst gegenstandslos geworden; heute lautet er „Zurück nach Böhmen!“.
Sollten die seit mehr als dreißig Jahren bei uns sesshaft gewordenen, so fragt man sich erstaunt, tatsächlich beabsichtigen, unter den in der k. und k. Monarchie verachteten und nach 1918 verhassten Tschechen ihre letzten Lebensjahre, möglicherweise ohne ihre Kinder und Enkel, zu verbringen? Ein etwas unglaublicher, ja geradezu phantastischer Gedanke! Oder sollte die Prager Regierung doch recht haben mit ihrer Vermutung, dass die Rückkehrer in spe „Revanchisten“ sind??
Was auch immer die tatsächlichen Motive und Geheimwünsche der Vertriebenenfunktionäre sein mögen: Die Vertreibung von Millionen Deutschen aus der Tschechoslowakei, aus Polen und aus den besetzten Gebieten stand nicht am Anfang, sondern am Ende einer Epoche, die an jenem Tag begann, als die Westmächte dem Schanddiktat von München (über den Kopf der mit der Tschechoslowakei verbündeten Sowjetunion hinweg) zustimmten.
Und so kam, was kommen musste. Prag wurde, Hitlers eidlichen Versicherungen zum Trotz, am 15. März 1939 besetzt. Und noch am selben Tag begann mit deutscher Gründlichkeit und mit Hilfe fanatisierender sudetendeutscher Ordner eine derart beeindruckende Tätigkeit nationalsozialistischer Organe, dass sich der amerikanische Botschafter bereits im August 1939 veranlasst sah, eine Depesche folgenden Inhalts an das Außenministerium in Washington zu senden: „Wenn sich das Blatt jemals wenden sollte, dann darf man grausige antideutsche Exzesse nicht ausschließen.“ So beurteilte ein neutraler Beobachter die Lage im feindbesetzten Böhmen bereits zu einer Zeit, da die braundeutsche Barbarei nur kleine Kostproben ihrer Leistungsfähigkeit zu bieten begonnen hatte. Denn die folgenden Ereignisse standen den Tschechen erst noch bevor:
September 1939
Großrazzia der Gestapo im „Protektorat“. 8000 prominente Tschechen, die auf einer vorbereiteten Liste standen, werden festgenommen und in Konzentrationslager gesteckt, wo fast alle im Laufe der Jahre umkommen.
November 1939
Kampf gegen die tschechische Intelligenz mit dem Ziel ihrer Ausrottung nach polnischem Muster. Schließung der Universität, angeblich auf drei Jahre. Sie wurde aber erst wieder 1945 eröffnet. Inhaftierung und Erschießung tschechischer Studenten und Studentinnen.
September 1941
Der soeben neu ernannte „Reichsprotektor“ verhängt über Böhmen und Mähren das Ausnahmerecht. Massenverhaftungen finden statt mit anschließenden Verhören, Folterungen, Sondergerichten, Todesurteilen. Unter ihnen auch der Ministerpräsident Alois Eliáš.
November 1941
Am 17. veranstalteten die Prager Studenten eine Demonstration gegen die Okkupanten. Am 19. werden neun ihrer Führer herausgegriffen und ohne gerichtliches Urteil hingerichtet; 1.200 Studenten kommen ins Konzentrationslager Sachsenhausen.
Juli 1942
Nach Heydrichs Liquidierung beginnt Himmler das ganze Land zu terrorisieren. Über 3.000 Verhaftungen werden vorgenommen; die Kriegsgerichte in Brünn und Prag sprechen 1.350 Todesurteile aus. In Lidice erreicht das Wüten der Bestien seinen Höhepunkt, durch die Erschießung, an Ort und Stelle, ohne Verhör, ohne Urteil, a l l e r  männlichen Dorfbewohner, einschließlich ihres Pfarrers. Die Frauen kommen in Konzentrationslager; sämtliche Kinder in Heime. Das Dorf selbst wird mit Bulldozern dem Erdboden gleichgemacht.
Mai 1945
Ein in sechs Jahren brutalster und blutigster Unterdrückung aufgestauter Hass entlädt sich!
Immerhin konnten Millionen wenigstens noch das nackte Leben retten und nach Deutschland entkommen. Dass aber nicht s i e die ersten Vertriebenen gewesen waren, dass v o r ihnen schon Millionen, Systemgegner und Andersrassige, dasselbe Schicksal zu erleiden hatten, dass sie mittellos und mitleidlos unterm Beifall fanatisierter Volksgenossen aus dem Land ihrer Geburt verjagt worden waren , - das sollte man nicht vergessen. Und auch jene sechs Millionen Juden nicht, die ebenfalls von Heim und Herd vertrieben als Opfer hitlerischer Vernichtungspolitik in Konzentrationslagern und in Gaskammern elend zugrunde gingen.
Trotzdem verlangen, als wäre Tschechen, Polen, Russen nichts geschehen und als wären sie die einzigen Opfer, sudetendeutsche Funktionäre, zum Beweis ihrer mit jedem Jahr immer fragwürdiger werdenden Daseinsberechtigung, eine Rückkehr, die, das wissen sie, nur durch Krieg und durch die Vernichtung Europas erzwungen werden könnte.
Und so reden die Herren und agitieren und erwecken falsche Hoffnungen. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann tun sie es noch heute – und alle Jahre wieder...

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